"... trauernd trauen wir uns" -- Wir weigern uns, die 20 Jahre im herkömmlichen Sinn zu befeiern. Trotz aller Gründe zu trauern ... weiterhin Utopie, Hoffnung, Empörung und Kampf. Nie wieder ein Österreich ohne uns!
Vor genau 20 Jahren, im Jahr 1994, wurde maiz, eine Selbstorganisation von und für Migrantinnen, ins Leben gerufen. Wir begannen mit unserer Arbeit nicht zufällig in einer Zeit, die zum einen durch die Expansion neoliberaler Politiken charakterisiert war -- befeuert durch das von Francis Fukuyama proklamierte "Ende der Geschichte" nach dem Zerfall der sozialistischen Staaten --, zum anderen politische Widerstandsbewegungen wie den zapatistischen Aufstand im mexikanischen Chiapas hervorbrachte.
maiz ist im Herzen einer Stadt verortet, deren Geschichte und Erscheinungsbild wesentlich durch den Nationalsozialismus geprägt wurde: Linz. Bis heute sind die vielschichtigen Dimensionen der einstigen nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in der oberösterreichischen Landeshauptstadt zu sehen und zu spüren. Als Migrant_innen haben wir diesen zentralen und geschichtsträchtigen Ort bewusst für uns in Anspruch genommen. Mit unserer Präsenz nehmen wir ihn als öffentlichen Raum der Partizipation und für den Kampf gegen patriarchale und heteronormative Strukturen und Gewalt in Beschlag -- gegen kapitalistische Ausbeutung, ungleiche politische Machtverhältnisse, gegen rassistische Ausgrenzung, Sexismus und Homophobie. An diesen ikonischen Orte(n) der Topographie des Terrors werden Handlungsspielräume von Migrant_innen forciert, erweitert und erfunden.
20 Jahre maiz bedeutet 20 Jahre gegen- hegemoniale Praxis, Artikulation von Widerstand und postkoloniale Einverleibung im1 Sinne der "kulturellen Antropophagie". Die Arbeit von maiz wird von der strategischen Entscheidung getragen, sich in die hegemoniale Wissensproduktion einzumischen, dort Räume für Migrant_innen zu erkämpfen, wo es für sie keine Räume gibt -- im Bewusstsein über die Gefahr der Vereinnahmung und der Konflikte, die eine solche Einmischung mit sich bringen, über die Verstricktheit in gesellschaftliche Verhältnisse und damit auch Widersprüche. Unsere Intention ist, Impulse für Verschiebungen zu setzen, Veränderung herbeizuführen und dabei auch uns selbst infrage zu stellen. Wir wollen Fragen verwerfen und entwerfen, Fragen, die Brüche und Irritationen erzeugen, die Paradoxien, Antagonismen und die Notwendigkeit zum Perspektivenwechsel sichtbar machen. Voraussetzung dafür ist, neue Strategien und Utopien zu entwickeln. maiz ist immer dem Ziel gefolgt, nicht zu sein -- sondern zu werden.
Die feministische Besetzung des anthropophagischen Konzepts durch maiz verschiebt die Kontexte -- es geht dabei um ein Displacement von Grenzen, um eine emanzipatorische Raumnahme und damit um den Widerstand gegen die Exotisierung der/des "Anderen". Relevant ist nicht nur die Frage, worüber gesprochen wird, sondern auch, wer für wen spricht und was wann warum überhaupt als legitimiertes Wissen anerkannt wird. Um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen geschlechtsspezifi schen und rassistischen internationalen Arbeitsteilung und der damit zusammenhängenden Migration führen zu können, beanspruchen wir, uns an den Versuchen der Dekolonisierung zu beteiligen. Dabei betrachten wir Theorie und Praxis sowie Bildung und Macht in ihrer Verstricktheit.
Um Utopien und Auseinandersetzungen mit der epistemischen Dimension unserer Praxis mehr Raum zu geben, hat sich maiz entschieden, die Universität der Ignorant_innen zu gründen. Der Ausgangspunkt unserer Universität ist die Erkenntnis, dass alle ignorant sind, solange über Wissensbestände verfügt wird und Wissen weiterhin hergestellt wird, ohne die Machtdimension von Wissen und die gewaltvollen Prozesse der Legitimierung und De-legitimierung von Wissen kritisch zu reflektieren und ohne die daraus resultierenden Konsequenzen für die Praxis umzusetzen. Unsere Utopie ist die gemeinsame Produktion von gegen-hegemonialem Wissen. Um diesen Versuch zu gestalten und immer erneut fortzusetzen ist die Berücksichtigung der gewaltvollen Ignoranz (gestattete Ignoranz) sowie des Konzeptes eines wechselseitigen Lernen/Lehrens (kein Mensch ist "tabula rasa") eine der zentralen Voraussetzungen. Wir wollen durch die Arbeit in und an der Universität unser Tun in die Tradition anderer Kämpfe stärker einschreiben, welche die Distanz zwischen intellektueller Arbeit und politischem Aktivismus, Theorie und Praxis zu verringern und Wissen zu produzieren versuchen, "um die Welt zu verändern! Wir gehen los. Mit unseren vielen Fragen. Während wir gehen, werden wir die eine oder andere Antwort finden und noch mehr Fragen. Die Antworten finden wir nur, weil wir gehen" (Zapatistas).
Für die Auftaktveranstaltung zur Gründung unserer Universität im Rahmen von „20 Jahre maiz – Antropophagische Woche“ haben wir Theoretiker_innen eingeladen, die ihre pädagogische/akademische Arbeit mit politischem Aktivismus und sozialer Intervention verbinden. Es referieren und diskutieren:
- Gayatri Chakravorty Spivak
Columbia University - Encarnación Gutiérrez Rodríguez
- Universität Gießen
- Shirley Tate
University of Leeds, Centre for Ethnicity and Racism Studies - Yuderkys Espinosa
Glefas -- Grupo Latinoamericano de Estudio, Formación y Acción Feminista - Marina Gržinić
Slowenische Akademie der Wissenschaften und Künste, Akademie der bildenden Künste Wien - Maria do Mar Castro Varela
Alice Salomon Hochschule Berlin - Pelin Tan
Silent University Istanbul
Mardin Architecture Faculty - Araba Evelyn
Johnston-Arthur Howard University Washington, Pamoja
Wien (angefragt) - Nikita Dhawan (angefragt)
Goethe-Universität Frankfurt a.M. (angefragt)
Wer kann mitmachen und wie
- Wer: Alle, die an gegen-hegemonialer Wissensproduktion interessiert und für Auseinandersetzung offen sind und sich unbezahlt daran beteiligen können: Aktivist_innen, Akademiker_innen und Nicht-Akademiker_innen, Migrant_innen, aber auch Nicht-Migrant_innen, Künstler_innen, Revolutionär_innen ...
- Wie: Mit Vorträgen und Diskussionen, Workshops, Performances, Film-/Videopräsentationen,Musik usw.
Bitte senden Sie einen Titel, ein Kurzkonzept von max. 250 Wörtern auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Rumänisch, Bulgarisch oder Russisch sowie eine Kurzbiografie bis 30.09.2014 an: maiz@servus.at
Die Auswahl der angenommenen Beiträge wird bis Mitte Oktober 2014 bekannt gegeben.