"Homo sovieticus" – Küchenerzählungen der sozialistischen und sowjetischen Ländern
Die revolutionären Ereignisse des Jahres 1917 in Russland jähren sich 2017 zum einhundertsten Mal. Diese Revolution von 1917 sticht als – bislang – größtes Ereignis der Menschheitsgeschichte hervor. Die Russischen Revolutionen führten zu einem Systemwechsel, der das gesamte 20. Jahrhundert geprägt hat. „Mentalitäts- und kulturgeschichtlich bewirkte die Revolution zunächst einen Aufbruch in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie führte zu neuen Formen in Wirtschaft, Bildung und Kultur, förderte nationale, politische und soziale Befreiungsbewegungen, inspirierte Künstler*innen und Kulturschaffende weit über die Grenzen Russlands hinaus und forderte das Wertesystem der alten europäischen Gesellschaften heraus.“[1]
Auch 100 Jahre danach und mehr als 25 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion und des „real existierenden Sozialismus“ in Osteuropa ist die Auseinandersetzung mit der russischen Revolution nicht nur in geschichtspolitischer Hinsicht wichtig. „Das Thema „100 Jahre russische Revolution“ umfasst nicht nur das historische Ereignis, sondern die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts und das Verständnis von grundlegenden politischen Kategorien in diesem Kontext: Sozialismus, Kommunismus, Reform, Revolution, Transformation, Geschichte, Staat, Partei oder Demokratie.“[2]
Die Sendungsreihe "Homo sovieticus" thematisiert die komplexen revolutionären Ereignisse und deren vielschichtige Folgen für die Mitbürger*innen und folgt Fragen der Alltagsgeschichte und Mentalitäten in den sozialistischen Ländern.
Der Alltag ist das, was oft nicht den Weg in Geschichtsbücher oder Populärkultur findet. Und doch ist es das Alltägliche das Geschichte beständig macht. Es geht darum den Alltag dieser sozialistischen Periode, Verhaltensweisen und Denkmuster zu beleuchten. Das Alltägliche ist das, was alle Tage geschieht. Konstitutiv für seinen Begriff ist die Wiederholung. Sie verleiht Stabilität, kann aber auch Eintönigkeit und Langeweile erzeugen. In den Sendungen werden die Mentalitäten, die Einstellungen, Gedanken und Gefühle der Menschen sichtbar gemacht, darzustellen und zu erklären versucht. „Es gibt kein Erkennen ohne Gefühl, keine Handlung ohne Gefühl, keine Wahrnehmung ohne Gefühl, keine Erinnerung ohne Gefühl …“[3]
Im Vorwort des (2013 erschienen) Buches „Secondhand-Zeit“ schreibt Swetlana Alexijewitsch: „Ich frage nicht nach dem Sozialismus, ich frage nach Liebe, Eifersucht, Kindheit und Alter. Nach Musik, Tanz und Frisuren. Nach Tausenden Einzelheiten des verschwundenen Lebens. Das ist die einzige Möglichkeit, die Katastrophe in den Rahmen des Gewohnten zu zwingen und etwas darüber zu erzählen. Etwas zu verstehen. Ich staune immer wieder, wie interessant das normale menschliche Leben ist. Unendliche viele menschliche Wahrheiten....“
In den Sendungen nutzen wir Methoden und Analysen der Mentalitätsgeschichte[4] und Alltagsgeschichte und bearbeiten: „es geht um die Frage, wie Menschen im Alltag lebten und ihr Leben und die Geschichte erlebten. Es geht um das sich Wiederholende in der „Lebenswelt“ und die subjektiven Erfahrungen und Wahrnehmungen sowie die längerfristigen und sich daraus entwickelnden Mentalitäten der Menschen.“[5]
Die Sendungen befassen sich mit Themen wie Kindheit, Schule, Bildung, Rituale, Religion, Sexualität, Feminismus, Liebe, Solidarität, Krankheit, Alter, Tod und Sterben, Ängste und Hoffnungen, Arbeit und Feiern, Kommunikation, Umwelt, Raum, Zeit und Geschichte(n) in den sozialistischen Ländern.
Der Sozialismus hat, eine eigene Lebenswelt hervorgebracht. „Er hat Regeln einer kulturellen Welt aufgestellt, hat die Bühnen des gesellschaftlichen Lebens geschaffen, hat die Dramaturgie … und die verschiedenen Verhaltensrepertoires ausgearbeitet.“[6]
In Kooperation mit dorfTV.
Termine der live Sendungen:
1. Sendung: 13.05.2017 von 15-16 Uhr Kindheit, Schule und Sprache
2. Sendung: 9.06.2017 von 11-12 Uhr Sexualität, Feminismus, Homosexualität, Familie, Liebe und Körperlichkeit
3. Sendung: 14.07.2017 von 11-12 Uhr Umgang mit Glück, Liebe, Leid, Tod, Rituale, Feste, Feiern, Rituale, Ängsten und Hoffnungen im sozialistischen Osteuropa.
4. Sendung: 1.09.2017 von 11-12 Uhr Arbeit, Klasse, Geld, Konsum, das nationale Wir und Ambivalenzen des Alltags
5. Sendung: 25.10.2017 von 16-17 Uhr 100 Jahre Russische Revolution - 1917- 2017
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[1] 1917. Revolution – Russland und Europa - Deutsches Historisches Museum, Berlim, 2017
[2] Call for Papers PROKLA „100 Jahre russische Revolution“ Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, 2017
[3] Heller, Agnes: Theorie der Gefühle, VSA-Verlag, Hamburg, 1981
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Alltagsgeschichte
[6] Alexijewitsch, Swetlana. Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus, 2013